Überlegungen eines Physikers zu Goethes Farbenlehre          

Akihiro YUU

Goethes Arbeiten auf dem Gebiet der Farbenlehre finde ich interessant und sinnvoll, da er sich nicht einfach von den vorhandenen Theorien überzeugen ließ, sondern tiefer und eigenständig darüber nachdachte. Als ich erstmals an der Schule die von Newton herkommenden Grundlagen der Optik lernte, akzeptierte ich sie, ohne zu zweifeln. Nicht, weil ich die Theorie vollständig verstanden hatte, sondern weil sie als richtig im Lehrbuch stand. Selbst wenn eine bekannte Autorität etwas behauptet, muss die Behauptung nicht immer zutreffend und einwandfrei sein. Goethe versuchte, Newtons Mechanik und Optik zu widerlegen. Es ging ihm dabei um die angemessene Methode. Er führte zum Beispiel in seinem Werk den Farbenkreis ein, in dem das Verhältnis zwischen den einander gegenüberstehenden Farben komplementär ist. Diese Idee kann zunächst als Hinweis darauf dienen, wie ein Betrachter die Farben wahrnimmt. Darüber hinaus wollte Goethe sie auf die Phänomenologie des Lichts anwenden. Das aber widerspricht der Theorie Newtons. Nach Newton sind die verschiedenen Farben tatsächlich als Linie vorzustellen, die keinen Kreis bildet. Ursprünglich unterscheidet man im beschränkten, durch das menschliche Auge erkennbaren Bereich des Lichts die Farben je nach ihrer Wellenlänge. Weil das Farbenspektrum kontinuierlich ist, sind die diskreten, wohlunterschiedenen Farben von den Menschen willkürlich festgelegte Begriffe, wobei es sogar individuelle Auffassungsunterschiede gibt, was zum Beispiel Grün oder Blau ist. Der Irrtum Goethes liegt darin, dass er befangen war, insofern er die Phänomenologie stets mit der Beziehung zwischen den Farben und den menschlichen Empfindungen zu erklären versuchte.

Goethe betrachtet die Farben auch unter chemischen Gesichtspunkten: „Das Gelb und Gelbrote widmet sich den Säuren, das Blau und Blaurote den Alkalien.“ Definitionsgemäß ist eine Säure aber etwas, das die Wasserstoffionen H+ an einen anderen Stoff abgibt, während Basen Wasserstoffionen von einem anderen Stoff empfangen. Goethe kam vermutlich durch einen pH-Indikator auf den Einfall, aber die Farben, die die Indikatoren je nach dem pH-Wert zeigen, hängen von den Reagenzien ab. Bei chemischen Reaktionen sind die Farben durch das Absorptionsspektrum des Stoffs anhand der Theorie Newtons zu erklären. Vor der durch Newton begründeten Epoche hätten die Ideen Goethes als fortschrittliche Hypothese gelten können, die man damals prüfen hätte können, ähnlich wie die Vier-Elemente-Lehre des Aristoteles. Eine der wichtigsten und wesentlichen Seiten der Naturwissenschaft ist die Wiederholung. Die Naturwissenschaft hat unter der Voraussetzung Gültigkeit, dass man ein schlüssiges Ergebnis erreichen kann, wenn allgemein verfügbare und nachvollziehbare Kenntnisse und Bedingungen vorliegen. Die aufgestellten Theorien lassen sich durch Experimente, die im Prinzip von jedem durchführbar sind, entweder beweisen oder widerlegen.




Goethe hatte vermutlich eine Abneigung gegen die mechanische Beschreibung mit Formeln und fand sie den Menschen nicht gemäß. Die Darstellung anhand von Formeln ist zwar weder eine notwendige noch ausreichende Bedingung, um die Phänomene zu beschreiben, aber die Mathematik ist ein mächtiges Werkzeug zu diesem Zweck. Nur in der natürlichen, spontanen Sprache drückt man die Eigenschaften und Gesetze eines Phänomens auf undeutliche Weise aus, wohingegen die Mathematik zur abstrakten Diskussion neigt, weil dadurch unnötige, vage Formulierungen, die das Denken verwirren, aus der Hypothese, um die es geht, ausgeschieden werden können.

In Goethes Zeit entwickelte sich die Naturwissenschaft getrennt von der Geistwissenschaft oder von der Philosophie, die auf religiösen Gründen beruhte. Sie vermochte selbstverständlich neue Theorien aufzunehmen, unter der Voraussetzung, dass der neu konstruierten Theorie Logik und Reproduzierbarkeit eignet. In den letzten hundert Jahren wurden neuartige Gebiete in der Physik entdeckt. Freilich werden nicht alle Naturerscheinungen, die man bis dahin erkennen konnte, durch die Newtonsche Mechanik oder die Maxwellsche Elektrodynamik beschrieben. Im Hinblick auf die Quantenmechanik ist die Newtonsche Theorie eine Annäherung an die makroskopische Welt, während man sie mit Rücksicht auf die Relativitätstheorie als eine Annäherung an das Trägheitssystem, in dem die Körper sich mit viel langsamerer Geschwindigkeit als das Licht bewegen. Trotzdem schließen einander die klassische und die moderne Physik nicht aus, sondern unterscheiden sich voneinander in ihrem Anwendungsbereich. Die Newtonsche Mechanik ist nicht vollständig zusammengebrochen, im Gegenteil, sie bleibt immer wirksam, um die Bewegung der Körper oder der Farben darzulegen, die mit bloßem Auge zu erkennen sind.

Es ist bedauerlich, dass Goethe seine Erkenntnisse an die Stelle der Newtonschen Mechanik setzen wollte. Er war möglicherweise damit unzufrieden, dass die Farbendrücke auf Zahlenwerte wie den Brechungsindex zurückgeführt werden. Damit man eine vorhandene Theorie im Rahmen der Naturwissenschaft widerlegen kann, muss man zunächst innerhalb ihrer Grenzen die Widersprüche aufzeigen, statt eine ganz andere These als Ersatz vorzuschlagen. Auch wenn ein tief gesponnener Gedanke in einem bestimmten Gebiet nicht gilt, kann er dennoch von anderen Gesichtspunkten aus sinnvoll sein. Goethes Ideen sollten in der Kognitionswissenschaft nützlich sein. Besonders in der Wahrnehmungspsychologie kann seine Denkart, die zu beschreiben versuchte, wie die Farben durch das Auge auf die menschliche Empfindung wirken, immer noch bedenkenswert und einflussreich sein.

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